Tangermünde, St. Stephanuskirche

Tangermünde, St. Stephanuskirche

Tangermünde, St. Stephanuskirche

Drei Jahre nachdem die alte Orgel der St. Stephanskirche zu Tangermünde dem Stadtbrand von 1617 zum Opfer gefallen war, wurde 1620 mit Hans Scherer dem Jüngeren aus Hamburg ein Vertrag über den Bau einer neuen Orgel geschlossen. Das Instrument wurde 1624 fertiggestellt. Der Vertrag ist leider nicht erhalten und die Originaldisposition ist unbekannt.

Drei Jahre nachdem die alte Orgel der St. Stephanskirche zu Tangermünde dem Stadtbrand von 1617 zum Opfer gefallen war, wurde 1620 mit Hans Scherer dem Jüngeren aus Hamburg ein Vertrag über den Bau einer neuen Orgel geschlossen. Das Instrument wurde 1624 fertiggestellt. Der Vertrag ist leider nicht erhalten und die Originaldisposition ist unbekannt.
Nach einer problematischen Vorgeschichte wurde Anfang 1712 ein erster Umbau durch den Berliner Orgelbauer Johann Michael Röder begonnen, der ebenfalls nicht ohne Probleme verlief. Nachdem die Abnahme im August des gleichen Jahres verweigert wurde, sollte es noch bis 1716 dauern bevor die Arbeit vollendet werden konnte. Die Disposition nach diesem Umbau ist die erste, die von der Tangermünder Orgel überliefert ist.
Um 1790 führte der Tangermünder Orgelbauer Johann Gottfried Zabel einen großen technischen Umbau durch, wobei die Windladen und Traktur von Hauptwerk und Oberpositiv, sowie die Klaviaturen erneuert wurden. Am Pfeifenwerk wurde grundsätzlich nichts verändert, nur die gedeckten Register wurden mit beweglichen Hüten versehen.
Nachdem die Orgel 1844-54 bei einer großen Renovierung der Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen worden war, fand in den Jahren 1856-58 ein tiefgreifender Umbau durch Friedrich Hermann Lütkemüller aus Wittstock statt. Die Disposition wurde stark verändert und die bis dahin kurze Bassoktave wurde in allen Werken voll ausgebaut. Dazu mussten nun auch die restlichen schererschen Windladen samt Traktur erneuert werden, ebenso die gesamte Spielanlage. Das Gehäuse wurde durch Entfernung der Rückwände und Teile der Seitenwände den neuen größeren Windladen angepasst. Schließlich wurde auch die gesamte Windanlage erneuert. Von dem ursprünglichen schererschen Pfeifenbestand war nach diesen Eingriffen nur noch etwa die Hälfte übrig.
Nach einer Reinigung und Reparatur im Jahr 1913 wurde 1929 die Tonhöhe durch Furtwängler und Hammer (Hannover) auf a1=435 Hz gebracht, indem auf pneumatischen Zusatzladen neue Pfeifen für C und Cs hinzugefügt und die übrigen Tasten einen Ton höher angehängt wurden. Das Oberwerk erhielt einen Schwellkasten.
In den folgenden Jahren zog die Tangermünder Orgel die Aufmerksamkeit der Orgelbewegung auf sich. Während sie noch keine 20 Jahre vorher von Prof. Theophil Forchhammer als „unzeitgemäße Schleifladenorgel“ ohne Wert bezeichnet worden war, wurde jetzt ihre außergewöhnliche Bedeutung erkannt und über eine Rückführung in den Scherer-Zustand nachgedacht. Zum Glück fehlten die Möglichkeiten dazu und blieb das Instrument von den damaligen Restaurierungsmethoden verschont. Auch die nächsten Jahrzehnte überstand sie ohne weitere Eingriffe. Schließlich wurde sie 1983 anlässlich der Innenrestaurierung der Kirche in kaum noch spielbarem Zustand ausgebaut.
Nachdem der Mauerfall den Beteiligten das Studium der Vergleichsorgeln im Westen endlich ermöglicht hatte, konnte eine grundlegende Restaurierung geplant werden. Bei der Untersuchung des Pfeifenwerks stellte sich heraus, dass von fast allen Scherer-Registern zumindest noch einige Pfeifen erhalten geblieben waren. Nur 5 Register fehlten völlig. Dieser glückliche Umstand ermöglichte eine zuverlässige Rekonstruktion von fast allen Registern. Für die technische Anlage (Windladen, Kanalanlage, Trakturen usw.) mussten neben Spuren im Gehäuse und einigen Windladenfragmenten weitgehend Teile aus anderen Instrumenten zum Vorbild genommen werden. Die Bälge Lütkemüllers wurden beibehalten.
Die Gehäuse wurden 1990-92 durch die Fa. Paul Schuster aus Magdeburg in ihren Originalzustand zurückversetzt und 1992-94 folgte die Rekonstruktion des Instrumentes durch Orgelbauer Matthias Schuke aus Potsdam. Um möglichst viel Expertise zusammenzubringen, wurde er von einem internationalen Sachverständigengremium mit u.a. Harald Vogel, Uwe Droszella und Bernhardt Edskes beraten.
Vom originalen Pfeifenbestand ist noch etwa 50% erhalten. Was aus dieser Zahl nicht hervorgeht ist die Tatsache, dass bei dieser Orgel etwa die Hälfte des gesamten Pfeifenwerks in den Mixturen steht und dass gerade diese Register im 19. Jahrhundert weitgehend dem veränderten Geschmack zum Opfer gefallen sind. Namentlich bei den Grundstimmen sieht das Bild ganz anders aus. Die Prospektprinzipale sind vollständig erhalten und sogar von den Zungenregistern ist ein wesentlicher Teil erhalten geblieben. Der Klang vieler Registerkombinationen wird denn auch weitgehend von alten Pfeifen bestimmt. Dies macht die Tangermünder Orgel zu einer Seltenheit. In keiner anderen Orgel aus dieser Tradition sind mehr originale Pfeifen erhalten als hier.
Es ist auch die einzige historische Orgel dieser Größe, in der noch soviel von der niederländischen Tradition hörbar ist. Obwohl es ungerecht wäre, die zweite und dritte Scherer-Generation lediglich als Nachfolger Niehoffs zu betrachten, haben sie die wichtigsten Aspekte dessen Klangkonzeptes in einer sehr gelungenen Weise in ihre eigene Tradition integriert. Demzufolge eignet sich keine andere große historische Orgel so gut für die Musik Sweelincks wie gerade die Tangermünder Orgel.
© 2014 Koos van de Linde



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