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Klassik.com 19.07.2012
Florian Schreiner

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Ein grosser Wurf.
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Reizvolle Perspektive

Hochspannend ist diese Aufnahme dreier Cembalo-Konzerte von Johann Sebastian Bach nicht nur des verwendeten Soloinstruments wegen, sondern weil Solist und Ensemble mit größter Frische zu Werke gehen.

Eine Weltersteinspielung mit Johann Sebastian Bachs Cembalo-Konzerten – hört man da recht? Und wenn ja: Handelt es sich dabei nicht wieder um einen billigen Marketingtrick, um Aufmerksamkeit zu erzeugen? Die Antwort muss in diesem Fall, anlässlich einer Einspielung der Bach’schen Cembalo-Konzerte BWV 1052, 1053 und 1056 durch Aapo Häkkinen (Cembalo und Leitung) und das Helsinki Baroque Orchestra, ‚nein‘ lauten. Es ist ein interpretatorischer bzw. aufführungspraktischer Zugang, der nicht nur künstlerisch, sondern auch hinsichtlich der historischen Quellenlage Hand und Fuß hat – genauer: 16-Fuß.

Das hervorstechende Merkmal des interpretatorischen Zugriffs liegt in der Tat in der Wahl des Instrumentes, eines im 18. Jahrhundert und auch in Bachs Umfeld verbreiteten Cembalos, das über ein 16-Fuß-Register verfügt. Es handelt sich um den Nachbau eines zweimanualigen Cembalos von Johann Adolph Hass mit einem Tonumfang von fünf Oktaven. Schon andere Interpreten haben solche ‚Supertanker‘ zur klanglichen Darstellung insbesondere norddeutscher Musik für Tasteninstrumente verwendet. Doch bislang wurden die Cembalo-Konzerte von Johann Sebastian Bach auf einem solchen Instrument, das über das tiefe Register hinaus noch einige andere besondere Klangmöglichkeiten aufweist, noch nicht gespielt – in der Tat also eine Weltersteinspielung.

Die besondere Klanglichkeit des Helsinki Baroque Orchestra, das in der bei Aeolus als hybride SACD erschienenen, klangtechnisch exzellent geratenen Aufnahme mustergültig klar zu sinnlicher Erscheinung gelangt, geht indes nicht nur auf das Soloinstrument zurück. Entscheidend für den kammermusikalisch leichten Klang, mehr noch für die Agilität und ungeheure Flexibilität des Vortrags, ist die solistische ‚Orchester‘-Besetzung: Jeder Musiker formt seinen Part mit filigraner Gestaltung aus, in den langsamen Sätzen angereichert durch angemessene Verzierungen; das Ergebnis klingt weniger orchestral denn vielmehr wie impulsiv gespielte Kammermusik. Dass der Orchester-, d. h. Streicherbass, nur im 8-Fuß-Register gehalten ist und als Continuo-Instrument ein Orgelpositiv zum Einsatz kommt, bestimmt den Gesamtklang ebenso entscheidend. Der gesamte Klangeindruck, den man aus zahlreichen Einspielungen gewohnt ist – dichter, vom Streicherbass grundierter Orchesterklang plus darüber konzertierendes Cembalo – wird vom Kopf auf die Füße gestellt: Nun ist es das Soloinstrument, das die gesamte Registerbreite abdeckt, während die anderen Instrumentalisten als Verstärkung, Auffüllung oder Gegenpart hinzutreten.

Die Qualität vorliegender Aufnahme wäre allerdings allzu einseitig beschrieben, wenn allein die Klangmittel hervorgehoben würden. Die besondere Güte dieser verdienstvollen Bach-Einspielung liegt vielmehr in einem lustvollen Musizieren, dessen Esprit in den schnellen Außensätzen der Konzerte ‚à Cembalo concertato‘ in d-Moll, E-Dur und g-Moll nicht nur Solostimme bestimmt, sondern auch die übrigen Stimmen. Die solistische Besetzung ist lediglich die äußere Grundlage dafür, eine Biegsamkeit im Inneren des Vortrags zu erreichen, eine ebenso sorgsame wie lebendige, detailfreudige Ausformung in artikulatorischer und dynamischer Hinsicht, die die Musik zum Funkeln bringt – allerdings mithilfe des 16-Fuß-Registers auch zum Brodeln und Röhren. Durch die besonderen Klangmittel wird Bachs Musik eine Reichhaltigkeit der Gesten, Farben, Ausdrucksbereiche eingeschrieben, die Grund genug sind, hier nicht nur von einer verdienstvollen Erweiterung der üppigen Diskographie, sondern von einem großen Wurf zu sprechen. Als Abschluss und Appetitanreger für die nächste Folge dieser Gesamteinspielung von Bachs Cambalo-Konzerten erklingt ein solistisches Konzert: das „Concerto nach italienischem Gusto“ F-Dur BWV 971, das Aapo Häkkinen mit Esprit und kraftvoller Fülle im Klang Funken sprühen lässt. Zu dem hervorragenden Gesamteindruck trägt ein informatives, nicht nur über die Verwendung des 16-Fuß-Cembalos umfangreich informierendes Booklet bei.

Rezension im Original laden:
AE-10057_KlassikDotCom.jpg 327,26 kB
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